Montag, 1. Februar 2016

Welcome to Haifa

Shalom ihr Lieben,

ich hätte mich wahrscheinlich schon etwas früher melden können, aber gut Ding will Weile haben; hier endlich ein Update zu meinem zweiten Freiwilligendienst in Israel.

Ich bin wohlbehütet am 3.12. angekommen und ganz lieb an meinem heimlichen Lieblingsort (dazu ein andermal mehr) empfangen worden. Nach ein paar schönen Tagen im Süden Israels bin ich schließlich nach Haifa gefahren.
Unser Haus wie man sieht in der gut belebten Golomb Straße
Mein Empfang in Israel
Dort lebe ich seitdem in einer schönen und großen Wohnung in der Mitte von Haifa mit sieben anderen deutschen Volontären, die alle super lieb sind. Ein paar Facts zu Haifa: Mit ca. 273.000 Einwohnern ist Haifa die drittgrößte Stadt Israels und hat den größten Hafen im Land. Die Stadt erstreckt sich vom Mittelmeer bis hoch zum Carmel Berg, deshalb auch Stadt der Treppen genannt...

Der Blick aus unserem Wohnzimmer
Von unserer Wohnung aus müssen wir jeden Tag mit dem Bus hoch auf den Carmel Berg fahren zu unserem Arbeitsplatz, dem Carmel Hospital. Mir rund 450 Betten versteht sich die Einrichtung als familiär und fast überall ist der Slogan "מכל הלב" (zu deutsch: vom ganzen Herzen) zu lesen. Tatsächlich kenne ich die Gesichter vieler Ärzte, Krankenschwestern und sonstigen Personal vom Sehen, wenn nicht sogar beim Namen. 
Das Krankenhaus ist übrigens in Trägerschaft der Versicherungsgesellschaft Clalit, bei der 54% der Israelis versichert sind. Neben der Grundversicherung kann man verschiedene Tarife in Anspruch nehmen und hat ähnlich wie in Deutschland eine Versicherungskarte (je nach Tarif in Silber-, Gold- oder Platinfarbe).

Ein offiezielles Foto von der Website des Krankenhauses
Mein Arbeitsplatz ist der Aufwachraum, in dem maximal zehn Patienten versorgt werden können. Da die Patienten nach den Operationen intensive Pflege benötigen, kann ich dort nicht viel helfen. Statdessen löse am Nachmittag ältere freiwillige Israelinnen ab, die im Gegensatz zu mir nur jeweils ein paar Stunden in der Woche auf unserer Station arbeiten. Unsere Aufgabe ist es, die Familien, die auf ihre kranken Angehörigen warten, über deren Zustand zu informieren.
Wir können und dürfen natürlich keine medizinischen Details rausgeben, aber die Information, dass die Operation vorbei ist, dass der Patient aus der Narkose aufgewacht ist oder ob er noch schläft, ob er mit mir geredet hat und wann er den Aufwachraum verlassen kann sind, wird in den allermeisten Fällen dankbar angenommen. Ah, und natürlich darf ich den Familien erklären, dass sie den Aufwachraum nicht betreten dürfen. Glaubt mir das ist der spaßigste Part von meinem Job... Scherz!

Es ist tatsächlich eine wirklich interessante Aufgabe, weil ich die unterschiedlichsten Menschen kennen lerne. Haifa an sich ist bekannt für die friedliche Koexistenz von Arabern und Juden, und auch das Personal im Krankenhaus ist wirklich bunt durchgemischt. Auf meiner Station gibt es von Juden mit europäischer Herkunft, zu Juden mit marokkanischer Herkunft bis hin zu muslimischen und christlichen Arabern eigentlich alle vertreten. Vielleicht muss ich noch die Russen als eigene Gruppe hervorheben. Sie stellen die letzte große Einwandererwelle dar und sind oft stolz auf ihre Herkunft und sprechen viel Russisch untereinander. Problematisch ist, wenn ich ältere Patienten, bzw. Familien von Patienten betreue, die nur russisch sprechen. Dann muss eben die Hand-Fuß-Kommunikation ausreichen. Aber auch mit Minderheiten wie Drusen und Tscherkessen hatte ich schon Kontakt. Das gefällt mir gut an der Arbeit im Krankenhaus und es bereichert meinen Erfahrungshorizont und mein Bild von Israel unheimlich. Im Gegensatz zu meinem letzten Freiwilligendienst, bei dem ich oft das Gefühl hatte in einer Seifenblase zu leben, bin ich mit meinem Wohnort und Arbeitsplatz jetzt voll in der Realität angekommen. Das ist manchmal herausfordernd, aber auch unheimlich spannend.

So, das wäre es dann erst mal.
Uum Schluss noch ein Bild von den Regenströmen vor zwei Wochen hier... Auch so sieht Israel manchmal aus!


Allerliebste Grüße aus Haifa,
Lea

Gut, ich mach euch dann doch noch neidisch mit der Aufnahme des Sonnenaufgangs aus meinem Schlafzimmer

Freitag, 13. November 2015

Was ich noch zu sagen hätte...

Hallo ihr Lieben!

Nun bin ich schon drei Monate in Deutschland und in weniger als drei Wochen geht es für mich wieder los nach Israel. Ich bin schon voller Vorfreude auf Haifa, die Arbeit im Krankenhaus und neue Erfahrungen in diesem so spannenden Land.
Doch bevor ich mich in meinen zweiten Freiwilligendienst begebe, gibt es zwei Dinge, die mir in den letzten Wochen aufgefallen sind, die mir auf dem Herzen liegen.


Die erste Sache hat damit zu tun, wie die Menschen hier in Deutschland reagieren, wenn ich ihnen erzähle, dass ich ein Jahr in Israel war und es kommt noch schlimmer, nochmal für längere Zeit dorthin gehen werde. Die Reaktionen fangen bei mitleidigen Blicken an und gehen über Aussagen wie "Dir ist nicht mehr zu helfen" bis hin zur Begeisterung. Letztere ist mir aber leider eher weniger begegnet. Das möchte ich niemandem vorwerfen. Wenn man sich die regelmäßigen Nachrichten über Gewaltakte in Israel anschaut, dann bekommt man leicht den Eindruck, dass diese den Alltag der Menschen ausmachen. Natürlich ist das in manchen offensichtlichen Formen (Verlust von Familienmitgliedern, Wehrpflicht) und vor allem eher unterschwelligen Formen (Angst und leider manchmal auch Hass) bei den Menschen festzustellen. Trotzdem bestimmt dieser Umstand nicht den ganzen Lebensalltag. Ich habe viele interessante und verschiedene Menschen kennengelernt, die meine Erfahrung mit Israel hauptsächlich ausmachen.

Da ist ein Member aus meinem Projekt Kfar Tikva, der Autist ist und alle Dinge um sich herum beschnuppern muss und die Farbe bordeauxrot liebt.

Und dann ist da die Mutter, die sich im Traum nicht ausgemalt hat, dass ihre Söhne eines Tages genau wie sie zum Militär gehen müssen und obwohl sie direkt neben dem Gazastreifen lebt und Raketenbeschuss zu ihrem Alltag gehört an den Frieden glaubt.

Dann ist da eine Sozialarbeiterin in meinem Projekt, die gerade eine schwere Phase hat und durch die Arbeit sehr belastet war, aber die zur Verabschiedung von uns Freiwilligen so viel Empathie und Dank geäußert hat.

Da ist die Grafikdesignerin, die das Leben und die Vielfalt der Menschen liebt und nicht möchte, dass ihre Kinder Nachrichten hören, weil sie glaubt, dass die Schrecklichkeiten des Landes und der Welt einen Menschen in seiner Entwicklung nicht fördern.

Dann ist da die junge Israelin, die sich überhaupt nicht für Politik interessiert und einfach gerne nette Menschen kennenlernt, mit ihren neuen und alten Freunden zusammensitzt und einen schönen Abend verbringt.

Da ist der nette Mann, der sich mit jedem Kollegen seiner Arbeitsstelle mal ein paar Minuten hinsetzt und einen selbstgemachten Kaffee teilt.

Und dann ist da da der junge Freiwillige, der die Diskriminierung der liberalen Strömung des Judentums (Reformjuden) schrecklich findet und möchte, dass die Siedlungen in den Westbank verschwinden.

Und da ist der junge Soldat, der sich in dem bestätigt fühlt, was er tut. Weil ein kleines Kind ihm ein Bild gemalt hat, weil es sich von ihm beschützt fühlt, weil da, wo es wohnt regelmäßigen Raketenbeschuss gab.

Und dann ist da der kleine Junge, der gerne Geschichten erzählt und sich bei seiner Mutter hinter den Beinen versteckt, weil er etwas schüchtern ist, wenn er jemand neues kennenlernt.

Und dann gibt es mich, die voll von diesen Gesprächen begeistert von Israel erzählt und kaum jemand kann ansatzweise versteht, was für eine gute Erfahrung ich gemacht habe und wie sehr ich dieses Land mit seinen verschiedenen Seiten lieben gelernt habe.

Aber der Weg dahin war nicht so einfach. Das ist die zweite Erfahrung, die ich gerne mit euch teilen möchte. Und zwar war die erste Zeit für mich in Israel richtig hart. Ich habe mich unwohl gefühlt, mit so ganz anderen Gesichtern um mich herum. Niemanden, den ich länger als ein paar Wochen kenne und mit denen soll ich auf einmal alle meine Eindrücke teilen? Meine Ängste? Meine Erwartungen?

Und dabei war ich super abgesichert. Mit Internet, Smartphone und besonders Skype immer kontaktbereit nach Deutschland zu meiner Familie. Ich war vom ersten Tag eingebunden in feste Arbeitsstrukturen, die mir einen Sinn in meinem Aufenthalt in Israel gegeben haben. Fast zwanzig andere Mitfreiwillige, mit denen ich zusammengewohnt, gegessen und fast alles zusammen erlebt habe. Und das ganze war von einem Koordinator super betreut mit wöchentlichen Meetings, bei denen wir Fragen und Bedenken usw. klären konnten. Jemand, den ich 24h hätte erreichen können, wenn es einen Notfall gegeben hätte. Der Seminare und Ausflüge organisiert hat, damit wir einen Rahmen haben, in dem wir uns untereinander näher kommen und anfreunden können.

Und trotzdem! Trotzdem war da dieses Gefühl von "eigentlich gehörst du hier nicht hin".

Zum Glück hat sich das gelegt und dank all dieser tollen Voraussetzungen habe ich mehr und mehr zuhause gefühlt, Freundschaften geschlossen, die Sprache gelernt, meinen Platz im Projekt gefunden und einen sinnvollen Beitrag zur Arbeit für die Menschen mit Behinderungen geleistet, mich mit der israelischen Kultur beschäftigt, Traditionen kennengelernt, verglichen wie das denn bei uns in Deutschland so ist und am Ende vielleicht sogar ein Stückchen zur Völkerverständigung beigetragen.

Und dafür bin ich dankbar. Denn ich habe auch Freiwillige kennen gelernt, die diese Erfahrung nicht gemacht haben. Nicht weil sie nicht wollten, das will ich niemandem vorwerfen. Aber es passiert nicht einfach nur so. Ich musste mich bewusst dafür entscheiden. Und das ging nur, weil ich daran geglaubt habe, dass es sich lohnt und dass es doch die meisten Menschen mit einem gut meinen. Aber dieses Gefühl wurde nicht jedem so vermittelt, die Bedingungen waren einfach unglücklich oder sie hatten einfach nicht die Kraft dafür, obwohl die Umstände günstig waren.

Ich muss viel an meine Erfahrungen und die der anderen denken. Denn in Deutschland beschäftigen sich gerade viele Menschen damit, wie gehen wir eigentlich mit Menschen um, die zu uns nach Deutschland kommen. Ja, ich meine die vielen Menschen, die vor Gewalt, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit flüchten. Im Prinzip geht es mir aber um alle Art von Migration nach Deutschland.

Da ist es natürlich wichtig zu überlegen, wie es uns damit geht und wie wir damit umgehen.
Aber basierend auf dem was ich erlebt habe, muss ich oft daran denken, wie das Ganze wohl aus ihrer Perspektive ist. Wie viel Kraft hat es mich gekostet all diese Dinge zu bewältigen? Obwohl mir bei allem so viel Unterstützung entgegengebracht wurde.
Wie schwer, muss es dann sein für Menschen, die das eben nicht freiwillig tun, sondern die schon so viel Schreckliches erlebt haben, so viel aufgeben mussten, weil sie keine Hoffnung mehr sehen? Wie sehr fühlen sich die Menschen unterstützt? Wie sehr willkommen? Wie sehr fühlen sie die Bemühung um Integration? Und wie sehr haben sie dann Lust darauf, sich selber zu integrieren? Wie viel Kraft kostet es ihnen, die deutsche Sprache zu erlernen? Und die deutsche Kultur kennen zu lernen?

Ich lasse die Fragen mal bewusst so stehen.


Das waren schon die zwei Dinge, die ich gerne noch los werden wollte. Mein nächster Bericht kommt dann wieder aus Israel!

Liebe Grüße,
Lea